Auslegung von Heizungsanlagen ab 2016 gemäß EnEV

  • Hallo,


    "Für elektrischen Strom ist abweichend von Satz 2 als Primärenergiefaktor für den nicht erneuerbaren Anteil ab dem 1. Januar 2016 der Wert 1,8 zu verwenden;"
    EnEV, Anlage 1, Abs. 2.1.1


    Der Heizstrom für Stromwärmeanwendungen kommt aber nicht aus dem Durchschnittsmix, sondern aus dem Grenzkraftwerk entlang der Merit-Order - gewichtet mit einem temperaturabhängigem Bezugsprofil. Das wird nach meiner Einschätzung ähnlich aussehen wie der Verdrängungsmix des termperaturabhängigen KWK-Erzeugungsprofils: also eher etwas um 2,8 und eben nicht 1,8.


    Ich habe auf diesen EnEV-Fehler seit geraumer Zeit aufmerksam gemacht und auch schon mal ans BMWi geschrieben: Telefonische Antwort, ja ist nachvollziehbar, eine EnEV-Änderung wäre aber leichter umzusetzen, wenn man zuerst eine technische Regel hätte, die den Zusammenhang bestätigt.


    Wenn die 1,8 stehen bleiben, wird bei den EnEV-Berechnungsprogrammen nicht nur die Lösungsvarianten WP vs BHKW nicht sachgemäß in die eine Richtung geschoben. Auch innerhalb der Alternativen gute Dämmung + kleine WP oder mäßige Dämmung + große WP verschiebt ein Parameter 1,8 statt 2,8 für die primärenergetische Wertigkeit von Strom den Zeiger zu "Strom muss nicht gespart werden".


    Seht ihr diese Thema auch so strategisch und langfristig unschön, weil dann aus den ganzen Energieberatungsprogrammen die BHKW-Lösung nicht sachgerecht benachteiligt wird gegenüber Stromwärmeanwendungen? Sollen wir uns auch als BHKW-Forum zu gehör melden? Kennt jemand von der Bundesingenieurkammer - die hatten doch bei der letzten EnEV Novelle eine deutlichen Kommentar pro thermodynamischen Sachverstand abgegeben.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Der BDEW hat ein Grundlagenpapier zum Primärenergiefaktor veröffentlicht, das auf S. 16 schreibt:


    Zitat

    Mit dem Verdrängungsstrommix steht eine Bewertung zur Verfügung, die sich prinzipiell sowohl angebots-, als auch nachfrageseitig für die Bewertung "zusätzlicher" Strommengen eignet.


    Damit ist offenbar die Restlast P_RL(t) gemeint, die ein Grenzkraftwerk entlang der Merit-Oder definitert, welches die Eigenschaft eines PE-Faktors mit sich bringt. Eine gewichtete Zeitreihe, sei es aussentemperaturabhängiger Heizstrom oder ein PV-Erzeugungsprofil, würde dann für ein Jahr einen gültigen PE-Faktor für den Bezugsstrom oder erzeuten Strom vom Profiltyp xyz.


    Gruss,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Zitat

    Der Vollständigkeit halber sollen zum Schluss der Stromprimärenergiefaktor und Emissionsfaktor für eine fossile Stromversorgung der Wärmepumpen angegeben werden: Werden 1 GW Wärmepumpenkapazität ohne Zubau erneuerbarer Kapazitäten dem Stromversorgungssystem zugefügt, so erhöhen sich die CO2-Emissionen um 1,8 Mio. t und der Primärenergieverbrauch um 6,1 TWh. Dies entspricht einem Wärmepumpen-Stromprimärenergiefaktor von 2,5 und spezifischen CO2-Emissionen von 740 g/kWh. Der Wärmepumpenstrom stammt zu 23 % aus Gas-Kondensationskraftwerken (vor allem GuD), 4 % Gas-KWK, 42 % Steinkohle-Kondensationskraftwerken, 1 % Steinkohle-KWK, 26 % Anteil Braunkohle-Kondensationskraftwerken und 4 % Braunkohle-KWK.


    aus: Amany von Oehsen, Martin Pehnt, Mareike Jentsch, Norman Gerhardt: Benötigt man zeitlich aufgelöste Stromprimärenergiefaktoren in der Energieeinsparverordnung? Jg. 64 Heft 11, 2014, S. 67-72.

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Verdinenstvoll und wichtig, dass Gunnar das aufgreift. Hier droht in der Tat eine undifferenzierte Rennaicance von Wärme aus Strom, sei es für Warmwasser oder zum Heizen als Direktstrom oder mittels E-Wärmepumpe. Und zwar, ganz wichtig, mit der Konsequenz einer Verlängerung der Laufzeiten von Stein- und Braunkohlekraftwerken!

    Zitat

    ... eine EnEV-Änderung wäre aber leichter umzusetzen, wenn man zuerst eine technische Regel hätte, die den Zusammenhang bestätigt. (Antwort BMWi auf Anfrage Gunnar Kaestle)

    Eine bemerkenswerte Antwort des BMWi, doch wie passt das zusammen mit der drastischen Änderung des PE-faktors in der ENEV 2016? Wo ist denn die technische Regel, die das rechtfertigt? Hier ist doch ganz plump (oder listig?) die Beweislast umgekehrt worden. Nicht wer einen PE-Faktor 1,8 für Strom anzweifelt, sondern wer ihn einführen will, muss belegen, warum das gerechtfertigt ist. Dahinter steckt ja die Annahme eines elektrischen Kraftwerk-Nutzungsdrades von etwa 59% (1/1,8 = 0,55 ; bei 6% Übertragungsverlust (Wikipedia)). Und diese Kraftwerke sollte es künftig neu nur noch als Kond.-Entnahmeanlagen geben, die in Zeiten mit Wärmebedarf in KWK gefahren werden. Dann stimmt aber 59% eta elt nicht, sondern vielleicht 50%. Doch qua Merit Order werden durch die Änderung der ENEV auch SK-Anlagen weiter gefüttert.
    E-Wärmepumpen sind derzeit nur als Großwärmepumpen sinnvoll, bei denen die Wärme in Speichern oder Wärmenetzen zwiswchengepuffert wird. Sie sollen dann laufen und sind dann wirtschaftlich, wenn der Strompreis niedrig ist. So gibt es ein optimales Zusammenspiel mit KWK, die dann läuft, wenn der Strompreis oben ist (siehe IFAM Studie für BEE und AGFW:
    „Flexibilitätsreserven aus dem Wärmemarkt“). Doch Klein-WP sind derzeit klimapolitisch noch schlechter als Heizölkessel, wie Pehnt ua lt. obigem Zitat mit Recht gezeigt haben. Die Berechtigung von klein-WPs kommt erst, wenn die Kohlekraftwerke weg sind, also nach 2030. Jetzt jedenfalls dürften sie noch nicht unterstützt werden.

  • Doch Klein-WP sind derzeit klimapolitisch noch schlechter als Heizölkessel


    Bitte nicht missverstehen, verteufeln will ich die Wärmepumpe nicht. Im Neubau mit wenig Heizbedarf ist eine WP, die in das Lüftungssystem (mit aktiver Wärmerückgewinnung) integriert wird, angebracht, insbesondere wenn keine Gasleitung liegt. Heizöl wäre angesichts der Peak-Oil-Thematik nicht zu empfehlen (auch wenn temporär die Ölpreise nachgegeben haben). Auch sind gut eingebundene Wasser-Wasser-Wärmepumpen mit COPs von 4-5 auch nicht schlecht, aber dazu braucht man Flächenheizungen mit niedriger Vorlauftemperatur, was man eher im Neubau realisieren kann, als umständlich und teuer im Altbau nachzurüsten.


    Ja, energiewirtschaftlich flexibel sind vor allem Großwärmepumpen, die in Kombination mit anderen Wärmeerzeugern betrieben werden. Hier macht es ökonomisch Sinn auf unterschiedliche Preise zu reagieren, vgl. mit dem Wärmetrans-Konzept oder was die experimentierfreudigen Dänen auf die Beine stellen.


    Unbedingt nötig ist aber ein "level playing field", d.h. dass alle Varianten gemäß ihrer realen Auswirkungen zu bewerten sind. Und dazu ist bekannt, dass Durchschnittwerte (über einen Kraftwerkspark) weniger Aussagekraft besitzen als Grenzwertbetrachtungen (zum marginalen Kraftwerk, das hinzu- oder weggeschaltet wird).


    Zitat

    Das zugrunde gelegte Lastprofil für die Wärmepumpen enthält eine temperaturabhängige aber annähernd gleichmäßige Verteilung des Strombedarfs über den Tag. Entsprechend wird der Strombedarf der Wärmepumpen tendenziell durch den Einsatz von Grundlastkraftwerken, d. h. insbesondere von Kohlekraftwerken bereitgestellt.

    aus: Heilek et al: Energiewirtschaftliche Bewertung der Wärmepumpe in der Gebäudeheizung, TUM, 2013, S. 34.


    Ein PE-Faktor von 1,8 für elektrische Energie ist also nicht angemessen, wenn es darum geht, den Effekt von zusätzlichen Verbrauchern zu bilanzieren. Der bisherige Wert von 2,4 entspricht einem Kraftwerk, das etwas besser als 40% ist, d.h. incl. Vorkette mit 1,1 wären es um 45%. Das entspricht nicht einem alten Steinkohleblock, der bei Bedarf zugeschaltet wird, sondern eher einer neuen Anlage, die bevorzugt vor den alten angeschaltet wird und schon läuft.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Noch eine Fundstelle aus der Stellungnahme der Bundesingenieurkammer zur Novellierung des Energieeinsparungsgesetzes (EnEG) und der Energieeinsparverordnung (EnEV) – Stand: 15.10.2012, S. 10:


    Zitat

    [Zur Anlage 1, Abschnitt 2.1.1] In dieser Anlage wird festgelegt, dass die Primärenergiefaktoren für Strommix und Verdrängungsstrommix entgegen der DIN V 18599 bis 2016 auf 1,8 bzw. 2,3 reduziert werden. [Anm: Im EnEV-Entwurf stand ein Wert von 2,3 für den Verdrängungsmix.] Für diese Reduzierung gibt es nach Überprüfung keine Berechnungsgrundlage, bzw. belastbare Datengrundlage. Mit diesem, unseres Erachtens willkürlich reduzierten Primärenergiefaktor werden alle Stromheizungen sowie Wärmepumpen gegenüber der physikalischen Realität extrem bevorzugt. [..] Mit diesen Festlegungen wird der Ausbau von Kraftwärmekopplung und Fernwärme, die energetisch sinnvoll ist, komplett verhindert, sodass in Zukunft fast nur noch elektrisch angetriebene Heizsysteme durch die hier willkürlich festgelegten Primärenergiefaktoren gebaut werden, was unseres Erachtens nach den eigenen Vorgaben der Bundesregierung zum Ausbau der dezentralen Energieversorgung komplett widersprechen und damit für die nächsten Jahre eine Fehlentwicklung eingeleitet wird, die noch zu viel höheren Problemen in den Stromnetzen führen wird, wie sie jetzt schon vorhanden sind. Das heißt hiermit werden zukünftige Blackouts staatlich verordnet anstatt die Energie dezentral zu erzeugen, um hier die Belastung der Netze zu reduzieren.

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Im BMWi wäre mit Blick auf den Organisationsplan


    die Abteilung II Energiepolitik- Wärme und Effizienz
    Herdan Tel 6611 · 6610, Fax 5415
    buero-ii@bmwi.bund.de


    zuständig.


    Kennt jemand einen Energieberater / Planer, der abschätzen könnte, welche Auswirkungen die EnEV-Änderung in Bezug auf die Anlagenauslegung haben wird? Der PE-Faktor geht von 2,4 auf 1,8 herunter, d.h. auf 75% des Ursprungswerts. Eine Stromheizung kann ab nächstem Jahr ein Drittel schlechter sein und dasselbe Ergebnis nach der EnEV-Bewertung erzielen.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)