BHKW zur Dampf- und Stromproduktion?!

  • Hallo zusammen!


    Ich arbeite zurzeit als Praktikant (BWL-Studium, 3. Semester) in einem Industriebetrieb und soll die aktuelle Energieproduktion auf seine Wirtschaftlichkeit untersuchen.


    Die Eckdaten,die ich mir zusammengesucht habe:
    -Stromverbrauch ca. 230.000 kWh/a
    - Wärme (Gas): 45.000 kWh/a
    - Dampf (benötigt zur Produktion), realisiert durch einen alten Öldampfkessel (0,5 t Dampf/h; rund 640.000 kWh/a (Ich habe die verbrauchte Ölmenge mit dem Faktor 9,8 multipliziert)). Die Temperatur muss knapp über 100 Grad betragen.


    Meine Frage: Ist es wirtschaftlich (bzw. überhaupt realisierbar), den "Laden" auf ein BHKW umzustellen?



    Ich bin relativ neu in diesem Gebiet und habe bei meiner Recherche aufgeschnappt, dass ein BHKW mit einer Turbine betrieben werden kann, die Dampf produziert.
    Allerdings brauchen wir in unserem Fall nur Dampf knapp über 100 Grad, also vermutlich eher ungeeignet.
    Was sind eure Meinungen?


    Wäre wirklich dankbar für jeden noch so kleinen Tipp. Vielleicht bin ich aber auch auf der völlig falschen Spur mit einem BHKW... Dann lasst es mich bitte wissen ;)


    Besten Dank für eure Bemühungen im Voraus!!


  • Die Eckdaten,die ich mir zusammengesucht habe:
    -Stromverbrauch ca. 230.000 kWh/a
    - Wärme (Gas): 45.000 kWh/a
    - Dampf (benötigt zur Produktion), realisiert durch einen alten Öldampfkessel (0,5 t Dampf/h; rund 640.000 kWh/a (Ich habe die verbrauchte Ölmenge mit dem Faktor 9,8 multipliziert)). Die Temperatur muss knapp über 100 Grad betragen.


    Wie sehen denn die Jahresdauerlinien aus? Einfach die Daten aus dem Energiemanagement ziehen (notfalls vom Netzbetreiber für Strom + Gas besorgen) und alle Stunden oder Viertelstundenwerte eines Jahres absteigend sortieren.


    Warum wird ein Ölkessel genutzt, wenn Gasanschluss liegt? Ist der Dampfbedarf stoßweise und würde ein Gasbezugsspitze verursachen oder ist der eher durchgängig, solang Betrieb ist (ein/zwei/drei Schichten?).


    Zitat

    Meine Frage: Ist es wirtschaftlich (bzw. überhaupt realisierbar), den "Laden" auf ein BHKW umzustellen?


    Prinzipiell ja, es hängt halt davon ab, wie der Strom und Gas/Ölbedarf aussieht (Leistungsprofil).


    Zitat

    Ich bin relativ neu in diesem Gebiet und habe bei meiner Recherche aufgeschnappt, dass ein BHKW mit einer Turbine betrieben werden kann, die Dampf produziert.
    Allerdings brauchen wir in unserem Fall nur Dampf knapp über 100 Grad, also vermutlich eher ungeeignet. Was sind eure Meinungen?


    Gasturbinen habe einen etwas kleineren Wirkungsgrad, dafür liegt die gesamte Abwärme auf hohem Temperaturniveau an, mit dem man Dampf produzieren kann. Motor-BHKW erzeugen ca. hälftig Abwärme am Öl- und Wasserkühler unter 100°C und ca hälftig Abwärme vom Abgas, das man auch mit einem Dampferzeuger koppeln kann. Der ist aber in der Regel recht teuer im Vergleich zum Wasser-Wärmeübertrager.


    Zitat

    Wäre wirklich dankbar für jeden noch so kleinen Tipp.


    Oftmals lohnt sich auch der Blick in den Prozess. Kann man ggf. die Dampfanwendung ersetzen durch eine überschaubare Prozessmodifikation und dann reicht 95°C Wasser aus? Es gibt auch sogenannte Heissläufer-Motoren, die knapp über 100°C Wärme abgeben können (obacht, dass der Schmierfilm nicht abreisst). Wichtigste Frage ist, wie häufig und lang der der Dampfprozess läuft (-> Jahresdauerlinie) und wie gut das mit dem Stromverbrauch zeitlich zusammenfällt.


    1 t Dampf/h hat glaube ich irgendwas zwischen 5-10 MW - hängt vom Druck und Temperaturnievau ab. Daher wäre Schätzung dass 0,5 t/h rund 3 MW entsprechen. Wenn ich das auf den Ölverbrauch von 600 MWh umrechne, sind das nur 200 Vollbenutzungsstunden - passt das so in etwa. Stomverbrauch von 230 MWh sind bei 1 Schicht Betrieb 8 h/d *5 d/w * 50 w/a = 2000 h/a etwa 100 kW_el.


    Alternativvorschlag: Thermoöl. Das kann man speichern, auch über 100 °C erhitzen. Die KWK-Anlage läuft dann stromgeführt, heizt das Thermoöl auf und aus dem Thermoöl wird dann bedarfspezifisch mit einem Dampferzeuger der Dampf produziert. Oder wie gesagt die Temperatur im Prozess um ein paar Grad drücken und dann mit 90-95°C heissem Wasser arbeiten.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Lieber Gunnar,


    vielen Dank für die super-schnelle Antwort, und dann auch noch so ausführlich!


    Zum Thema Jahresdauerlinien: Das ist nicht so einfach, ein Energiemanagement gibt es nicht (ist ein recht kleines Unternehmen). Mir stehen lediglich der monatliche Stromverbrauch, der halbjährliche Gasverbrauch, sowie (ganz ungenaue) monatliche Ölverbrauche. Lässt sich daraus etwas in der Richtung basteln?


    Der Ölkessel läuft in den Wintermonaten komplett durch, in den Sommermonaten wird er am Wochenende ausgestellt. Es geht im Groben darum Wachs zu schmelzen und weiterzuverarbeiten. Für die Wachsaufbereitung (das Schmelzen) braucht man knapp über 100 Grad (also als Dampf!), dafür ist der Ölkessel da.


    Vielleicht kannst du mir auf dieser Grundlage nochmal einen Tipp geben, wie ich weiter vorgehen soll? Dafür wäre ich dir sehr dankbar! :)


    Deine Alternativvorschläge klingen auch vielversprechend, werde ich mich mal mit auseinandersetzen.


    Beste Grüße!

  • Stromlastgänge gibt's beim Netzbetreiber, der liefert Viertelstundenwerte, wenn ihr vor Ort keine Daten habt.


    Läuft der Öl-Kessel immer volle Kanne AN/AUS oder moduliert der?
    Versuche irgendwie 1-2 Wochen mal mitzuloggen (Stromlogger am Gebläse?),
    damit man sieht, wann er einschaltet und wann er aus ist.


    Der Gaskessel ist ja vergleichsweise vernachlässigbar, würde aber natürlich mit ins Versorgungskonzept einbezogen werden.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • theoretisch Ja (Also Dampf und Strom)
    praktisch nein


    Ein Dampferzeuger (Mini-Abhitzekessel) ist in der Leistungsklasse von 100-200 kW_th glaube ich um den Faktor 5-10 mal teurer als ein Abgaswärmeübertrager der Heisswasser erzeugt. Daher die eindringliche Frage, ob man den Schmelzprozess nicht auch mit (unter Druck stehendem) Wasser oder Thermoöl erledigen kann und ob die Prozessumstellung mit überschaubarem Aufwand möglich ist.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Guten Morgen,


    den Stromlastgang habe ich mir schicken lassen, allerdings ist der nicht sehr aufschlussreich, da nur "Profilwerte" gegeben sind, nicht aber kWh-Werte...
    So kann ich jetzt zwar sehen, wann der Stromverbrauch verhältnismäßig besonders hoch ist, nicht aber wie das absolut aussieht.


    Ob der Prozess verändert werden kann - weg vom Dampf, hin zu bspw. Thermoöl - erfahre ich Montag.


  • den Stromlastgang habe ich mir schicken lassen, allerdings ist der nicht sehr aufschlussreich, da nur "Profilwerte" gegeben sind, nicht aber kWh-Werte...
    So kann ich jetzt zwar sehen, wann der Stromverbrauch verhältnismäßig besonders hoch ist, nicht aber wie das absolut aussieht.


    Das sind üblicherweise 8760 x 4 Werte, die bezogenen kWh in dieser Viertelstunde beziffern. Ich frage mich was Du erhalten hast - notfalls mit dem Jahresverbrauch skalieren. Ein wichtiges Abschätzungstool ist die geordnete Jahresdauerlinie, auch wenn durch das Sortieren etwas Informationsgehalt verloren geht.


    Zitat

    Ob der Prozess verändert werden kann - weg vom Dampf, hin zu bspw. Thermoöl - erfahre ich Montag.


    Ich erwarte, dass das eine nicht so einfach zu beantwortende Frage ist, da eine Umstellung aufwendig und mit Risiken behaftet ist (funktioniert nach der Umstellung noch alles so wie vorher?). Das wird erst dann angegangen, wenn ein genügend großer Topf mit Gold am Ende des Regenbogens lockt. Beim BHKW des Jahres 2014 wurde bspw. auch der Prozess geändert und von Dampf auf Heisswasser umgestellt.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Ich habe eine Tabelle mit den Viertelstunden-Werten eines Monats bekommen.
    3 Spalten: Ab-Datum, Ab-Zeit, Profilwert.
    Entspricht jetzt dieser "Profilwert" wirklich den bezogenen kWh in dieser Viertelstunde? Dann müsste ich ja beim aufaddieren den Gesamtstromverbrauch in dem Monat bekommen, oder irre ich mich? ?(


    Ich wollte zumindest Montag mal beim Hersteller der Kessel nachfragen, ob es möglich ist von Dampf auf eine andere "Erwärmung" umzusteigen, ohne den kompletten Kessel auswechseln zu müssen.


    Langsam macht sich aber bei mir auch die Verzweiflung breit. Ich kann nicht erkennen, wie sich ein Wechsel (bspw. zu einem BHKW) rentieren soll, wenn man sowie "nur" Gesamt-Energiekosten (also Strom+Gas+Öl-Dampfkessel-Betrieb) von etwas über 100.000 Euro/Jahr (brutto) hat.


    Allein die Investitionskosten sind doch enorm, oder habe ich eine falsche Vorstellung von den Preisen einer solchen Anschaffung?

  • Hallo Praktikant,


    mit ein bischen googlen habe ich eine Antwort auf die Frage bezüglich der Einheit der 'Profilwerte' bekommen, es sind höchstwahrscheinlich die Viertelstundenverbräuche. In Deiner Tabelle sollte auch die Maßeinheit 'kWh' angegeben sein.
    Lass Dir vom Stromversorger noch ein komplettes Jahreslastprofil schicken, denn nicht jeder Monat ist gleich.
    Genauso wichtig ist aber auch das Dampf-Lastprofil sowie der zeitliche Verlauf sonstiger Wärmeverbraucher. (Wird da im Winter nicht geheizt?) Gunnar ist mit seiner Abschätzung der Dampfkesselleistung 'etwas' zu hoch rangegangen, der Dampfkessel dürfte für 500 kg Dampf pro Stunde eine Aufnahmeleistung von etwa 350 kW haben. Das wären bei Vollast etwa 1800 Betriebsstunden, das ist für ein BHKW wohl auch hier viel zu wenig.


    Grundsätzlich möchte ich aber anmerken, dass die Aufgabenstellung für einen BWL'er aufgrund der technologischen Probleme eigentlich ungeeignet ist. Eine Lösung mit BHKW hängt von zu vielen zu lösenden Problemen ab.


    Welche Temperatur und welchen Druck hat der Prozessdampf genau? Wie lang sind die Dampfleitungen? Ist das ein geschlossener Kreislauf? Wie ist die Kondensatwassertemperatur im Rücklauf des Dampfkreises?


    Als Lösungsvariante könntest Du mit einem Hersteller von Dampf-BHKW Kontakt aufnehmen und für das Vorhaben eine Werksplanung erbeten. Die können Dir dann auch am Besten sagen, ob das wirtschaftlich darstellbar ist. Welche Vorgaben hast Du für den ROI?


    Die kleinste Ausführung mit einem 105 kWel BHKW liefert nur 0,1 t/h Dampf bei einem Listenpreis von ca. 183 TEUR. Aufgrund des relativ geringen Stromverbrauchs im Objekt ist das nicht wirtschaftlich darstellbar. Denkbar wäre aber auch einen Großteil des BHKW-Stroms zur elektrischen Dampferzeugung zu nutzen. Dann wäre die BHKW-Leistungsklasse 200 kWel mit bis zu 250 kg/h Dampf für 250 TEUR eine Variante.


    Die Alternative mit heißgekühlten BHKW wurde ja bereits angerissen. Entscheidend ist dabei aber auch die Rücklauftemperatur des Wachsschmelzprozesses.


    Wie hoch ist der Strompreis für das Unternehmen?



    Denkmaler

  • Zitat

    -Stromverbrauch ca. 230.000 kWh/a
    - Wärme (Gas): 45.000 kWh/a
    - Dampf (benötigt zur Produktion), realisiert durch einen alten Öldampfkessel (0,5 t Dampf/h; rund 640.000 kWh/a


    Bei einem angenommenen 1-Schicht-Betrieb (ca 2000 h/a) wären das ca 100 kW_el + 300 kW_th.


    Zitat

    Allein die Investitionskosten sind doch enorm, oder habe ich eine falsche Vorstellung von den Preisen einer solchen Anschaffung?


    Im Zweifel würde ich das Ding unterdimensionieren, d.h. ein 50 kW-Modul installieren, damit die Heizwärme (Gas) substituieren und den Rest zur Vorwärmung des Produktes nutzen, so dass der Heizöl-Dampf nicht für die gesamte Wachsschmelzarbeit gebraucht wird. Ein 50 kW Modul kostet um 80 TEuro, variable Kosten der Stromerzeugung liegen bei 5-10 ct/kWh.


    Der KWK-Zuschlag beträgt grob 5,4*50 = 2,7 € pro Vollaststunde, bei angenommenen 10 ct/kWh zusätzlichem Deckungsbeitrag, d.h. 5 € pro Vbh. In Abhängigkeit von den Integrationskosten (Annahme 100.000 € Gesamtsumme) braucht man also um 14.000 € für den Break Even, d.h. 7 Jahre.


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)

  • Hallo zusammen!



    Noch einmal vielen Dank für Antworten! Habe jetzt viele Alternativen zur Verfügung, und werde die alle mal durchgehen.
    Daher habe ich jetzt Infos von einem Hersteller von elektronischen Dampferzeugern erbeten, sowie Kontakt mit dem BHKW-Hersteller aufgenommen.



    Was mir allerdings noch fehlt ist eine genaue Angabe der überhaupt benötigten Dampferzeugung im Unternehmen. Das wird hier derzeit alles "nach Gefühl" gemacht, konnte bisher nur auf Basis der höchst-zulässigen Dampferzeugung Aussagen treffen. Aber gerade die Abstrahlverluste sind ja von besonderem Interesse bei diesem alten Dampfkessel (Baujahr 1961!). Da weiß ich auch noch nicht wirklich, wie ich da ran gehen soll; vielleicht kann mir der Hersteller von dem Kessel weiterhelfen :)

  • Daher habe ich jetzt Infos von einem Hersteller von elektronischen Dampferzeugern erbeten, sowie Kontakt mit dem BHKW-Hersteller aufgenommen.


    Was sind denn elektronische Dampferzeuger? Elektronisch Gesteuert oder elektrische Kessel, die Strom in Wärme umwandeln?


    Zitat

    Was mir allerdings noch fehlt ist eine genaue Angabe der überhaupt benötigten Dampferzeugung im Unternehmen.


    Entweder man baut in die Heizöl-Zuleitung ein Messgerät ein, dass den Heizölverbrauch über die Zeit mitloggen kann. Oder man schaut sich elektrische Verbraucher im Dampferzeuger an (Speisewasserpumpe, Gebläse für die Verbrennungsluft) und loggt den elektrischen Verbrauch und rechnet dann hoch auf die thermische Leistung. Bei uns in der Mensa gibt's auch einen gasbetriebenen Dampfkessel (für die Dampfgarer und Beheizung der großen Kochgeräte/kessel). Der wird morgens eingeschaltet und am Nachmittag aus - das heisst aber noch lange nicht, dass der rund um die Uhr mit Vollastläuft. Je nach Dampfabnahme wird automatisch mehr oder weniger Speisewasser nachgeführt und die Brennerleistung stufenweise angepasst. Daher die Empfehlung, ob man mit einem einfachen elektrischen Messgerät den Verbrauch der Nebenaggregate (Pumpen + Gebläse) auf die Dampferzeugerleistung hochrechnen kann.


    Eine andere Alternative als kleine Lösung wäre neben der generellen Frage, ob man wirklich Dampf braucht, den alten Ölkkessel rauszuschmeissen und einen neuen Gas-Dampferzeuger zu installieren. Hat sich in den letzten 50 Jahren die Technik weiterentwickelt, so dass auch hier geringere Energiekosten zu erwarten sind?


    Gruß,
    Gunnar

    Ist die Wärme kraftgekoppelt, wird die Energie gedoppelt. (Ulli Brosziewski)